An sein erstes Interview kann er sich noch gut erinnern. Wir uns auch, denn es war: mit uns. „Mit dem ersten Artikel überhaupt, der jemals über mich geschrieben wurde, da ging alles los“, erinnert sich der Bottroper Hüdaverdi Güngör. 2011 war das, Hüda kickte in der B-Jugend des SV 1911, stand als Komparse mit seiner Familie bei TV-Produktionen wie „Alarm für Cobra 11“ vor der Kamera – und war so nervös, dass er anstelle von Cola eine Fanta bestellte, als wir für unser Fußball-Magazin Auf´m Platz die Geschichte „Der Star im Team“ auf den Weg brachten. Sieben Jahre sind eine lange Zeit, wie man an dem heute 23-Jährigen sieht. Damals, als auf dem Weg ins Restaurant Charisma in der Boy die Fönwelle des zappeligen Pubertierers um ein Haar in der verschlossenen Glastür eingetaucht wäre, war noch mehr Wasser im Rhein oder so… oder zumindest noch nicht so viel runtergelaufen wie heute. Kann jedem Mal passieren, aber der Einstieg ins Gespräch war schon ziemlich scheiße. Nicht für uns natürlich, lag aber auch wohl an dem einen oder anderen Bierchen, die sich B&C gemeinsam mit einem Ouzo im Vorfeld auf Lippe und Stimmung gelegt hatten. „Das hab ich erst vor ein paar Wochen erfahren, dass bei meinem ersten Interview die Schreiber und Fragesteller rotzevoll waren“, lacht Hüda. Das Restaurant Charisma gibt´s nicht mehr – den schüchternen, zappeligen Jungen von damals ebenfalls nicht. Aufgeweckt, fröhlich und ausgeglichen, dazu ein Schnäuzer den so viele junge Menschen – überwiegend Männer – heutzutage tragen. Der Junge, so merken wir schnell, er ist informiert und weiß Bescheid, hat klare Kante und Meinung zu Politik und Zeitgeschehen, nimmt kein Blatt vor den Mund wenn er sagt: „Ich bin zwar ein Kanacke, aber unsere Probleme hier sind deutsch.“ Relativ früh sei er auf das Thema Integration gekommen, hielt als Jugendlicher schon Vorträge und Diskussionsreihen der Reihe „Geh Deinen Weg“ vor rund 300 Leuten ab. „Da habe ich gemerkt, es geht was, ich kann Menschen erreichen“, sagt er, der damals sogar für die Wählergemeinschaft in Bottrop kandidierte.
Das Talent, der eiserne Willen, all dies blieb auch nicht dem Bottroper Journalisten David Schraven verborgen. Schraven und Correctiv waren es, die journalistisch maßgeblich am Fall des Peter Stadtmann beigetragen haben. Sollte man eigentlich wissen, wir sagen es aber lieber nochmal. Leute wie Schraven und seine Mitstreiter von Correctiv sind es, die im Dreck wühlen gehen, sich Gefahren aussetzen und sich Widerständen aussetzen müssen und das tun, was echte Journalisten tun, nämlich aufklären, während die Kollegen der etablierten Presse – wie im Fall des Pfusch-Apothekers – reihenweise ihr komplettes Versagen öffentlich zur Schau stellten und nichtmals mehr ein erbärmliches Bild abgaben. „Und genau dieser David Schraven hat in mir, dem Hauptschüler aus Bottrop, etwas gesehen, was ich selber nicht in mir gesehen habe“, sagt Güngör nachdenklich, in sich gekehrt. Denn es war zunächst keine Liebe auf den ersten Blick zwischen dem ehemaligen Laiendarsteller und dem Journalismus, nach einem Praktikum war erstmal Feierabend. „Ich hatte einfach keine Lust mehr, ich dachte für ein halbes Jahr lang, dass mir LKW´s zu waschen mehr Spaß macht. Aber ich hab keine Ahnung, wie ich darauf gekommen bin, für körperliche Arbeit bin ich echt nicht geboren“, lacht er. Mittlerweile sagt der 23-Jährige, sei es die richtige Entscheidung gewesen, dann doch mit Verzögerung als Volontär zur Correctiv-Crew zu stoßen. Heutzutage stelle er lieber Fragen, als welche zu beantworten. Und er legt den Finger in die Wunde, hat soziales Verantwortungsgefühl und ein Gespür dafür, wer seine Stimme braucht. „Klar könnte ich auch etwas über Düsseldorfs Top-Verdiener filmen oder schreiben“, sagt er. Macht er aber nicht. Herz und Solidarität Güngörs, dem integrierten „Kanacken“ aus Bottrop mit dem Hauptschulabschluss, gehört den Menschen, die ganz unten sind und von Staat, System und Gesellschaft verlassen scheinen. Ein Film, in denen Hüda für ein paar Tage das Experiment als Obdachloser startet, erntet bombastische Kritik. „Ich wollte den Zuschauern die Augen öffnen, Fakt ist, dass ich an diesem Projekt für mich als Mensch das Meiste gelernt habe.“ Es sind die vielen Geschichten nebenher, wie etwa die, wie Güngor bei seinem Obdachlosen-Experiment von einem „echten“ Obdachlosen etwas Geld bekommt, ihn fragt ob er essen will.
Und wie er ihn, ein halbes Jahr später bei einer Preisverleihung durch Zufall im REWE wiedertraf und sich mit einem großen Einkauf revanchierte. „Da hab ich mein Budget geplättet und musste Freunde in Köln anhauen, ob sie mir Geld für ein Zugticket leihen können“, lacht der schnorrige Schnauzbarträger, wie Vera Int-Veen bei ihrer Asi-Sendung auf ihrem Asi-Sender sagen würde. Und es geht immer weiter, für Güngörs neue und absolut sehenswerte Reihe „Auf eine Shisha mit…“ ist der Bottroper sogar für einen Journalistenpreis nominiert. Nicht zu vergessen, der Bursche ist er 23.
2011, da hatte Hüda noch gefragt, ob wir vielleicht etwas über ihn berichten wollen. 2018 mussten wir eine Interview-Anfrage stellen. Zeiten ändern sich. Und wir gönnen es ihm. Hüda = Beste.
Für Genießer und alle, die einen tiefen Schniffer von ganz unten aus Ommas Mottenkiste ziehen wollen, eine Perle des lokalen Bottroper Journalismus:
https://www.aufmplatz.info/2011/07/02/der-star-im-team/